Triggerwarnung: Suizid/ Depressionen/ Mobbing
Hallo ihr Lieben,
mein Name ist Fabian, ich bin Mitte zwanzig. Die folgende Mobbinggeschichte betrifft mich nur teilweise, denn im Mittelpunkt steht mein damaliger Freund Anton.
Anton und ich lernten uns direkt in der fünften Klasse auf dem Gymnasium kennen. Wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut – in dem Alter sind gemeinsame Interessen besonders wichtig, und bei uns passte es einfach.Bei uns waren es Pokemon, Yugioh und Beyblade. Unsere Freundschaft entwickelte sich schnell und intensiv.
Leider stießen wir mit unseren Interessen zunehmend auf Ablehnung(vielleicht waren wir auch einfach zu kindlich) – sowohl in der Klasse als auch allgemein an unserer Schule. Rückblickend betrachtet herrschte ein ausgesprochen toxisches Klassenklima: Statussymbole waren entscheidend(5 Kinder hatten bereits im Zarten Alter von 10 Jahren ein Iphone), es wurde über jeden und alles gelästert. In diesem Umfeld fielen Anton und ich bald aus dem sozialen Gefüge heraus. Wir wurden beide gemobbt – Anton jedoch deutlich stärker als ich.
Damals hatte ich oft das Gefühl, dass Antons Anwesenheit meine eigene Stellung in der Klasse noch weiter schwächte. Trotzdem hielt ich zu ihm. Ich mochte ihn sehr, wir waren für mich so etwas wie „wir beide gegen den Rest der Welt“. Doch das Mobbing gegen mich wurde immer intensiver – so sehr, dass meine damalige Klassenlehrerin schließlich eine Krisenintervention einleitete.
Ab diesem Moment bemerkte ich erstmals, wie anders die Mitschüler*innen auf mich reagierten, wenn ich mit ihnen alleine sprach. Diese Erkenntnis leitete eine Phase ein, auf die ich heute nicht stolz bin: Ich begann, mich von Anton zu distanzieren. Es gab keinen Streit, wir trafen uns hin und wieder, aber ich begann neue Freundschaften zu schließen. Zum ersten Mal fühlte ich mich verstanden und akzeptiert. Gemeinsam mit drei anderen Mitschülern gründete ich eine Clique – wir glaubten, gemeinsam alles erreichen zu können.
In dieser Zeit verlor Anton seinen letzten wirklichen Freund: mich. Ich kümmerte mich nicht mehr um ihn, verbrachte kaum noch Zeit mit ihm – unsere Freundschaft verblasste schleichend. Obwohl das aktive Mobbing nachließ, blieb Anton sozial isoliert. Diese Isolation führte dazu, dass er sich zunehmend schlechter und einsamer fühlte.
Dann kam jener Tag, den ich nie vergessen werde. Es war, glaube ich, während des Geschichtsunterrichts – Gruppenarbeit. Ich saß mit meiner neuen Clique zusammen. Plötzlich ein Schrei. Ein durchdringender, erschütternder Schrei einer Mitschülerin. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Anton an einem offenen Fenster stand – mit der Absicht zu springen vor allen denen, die ihn gemobbt haben. Zum Glück konnte er rechtzeitig gerettet werden.
Die soziale Isolation hatte ihn so weit getrieben, dass er sein Leben beenden wollte.
Bis heute frage ich mich: Hätte ich etwas anders machen können? Hätte ich diesen Versuch verhindern können? Warum habe ich einen langjährigen Freund so leichtfertig aufgegeben? Warum habe ich nichts bemerkt? War ich wirklich ein so schlechter Freund?
Ich weiß nicht, ob ich jemals eine Antwort auf diese Fragen finden werde.
Ich weiß nur, dass Anton danach professionelle Hilfe bekommen hat. Wir haben uns in den Jahren danach noch ein paar Mal gesehen und auch wieder schöne Momente miteinander geteilt. Soweit ich weiß, geht es ihm heute gut. Aber ich weiß auch, wie viel Glück dabei war.
Anton – solltest du das hier jemals lesen: Es tut mir unendlich leid, wie ich mit 13 Jahren war. Es tut mir leid, dass ich gesellschaftliche Anerkennung über deine Gesundheit und unsere Freundschaft gestellt habe. Vielleicht habe ich dir das auch schon persönlich gesagt – aber es bleibt mir ein tiefes Bedürfnis, es zu wiederholen: Es tut mir leid.
Wir haben seit Jahren keinen Kontakt mehr. Wir sind erwachsen geworden und leben heute völlig unterschiedliche Leben. Ich weiß nicht, wie oft du an diese Zeit zurückdenkst – ich tue es sehr oft.
Ich wünsche dir von Herzen nur das Beste für deine Zukunft. Ich hoffe, du führst das Leben, das du dir wünschst und verdienst.
Fabian
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