Triggerwarnung: Mobbing, Gewalt

Ich dachte, sobald ich wusste, wer ich wirklich bin, würde alles einfacher werden. Ich irrte mich.

Nachdem ich meiner Therapeutin erzählt hatte, dass ich Lena bin – nicht ein Junge – fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben frei. Sie hörte mir zu, wirklich zu. Sagte nicht „aber du warst doch ein Junge“ oder „das geht vorbei“. Sie fragte: Wie kann ich dir helfen, du selbst zu sein?

Ich begann, zuhause langsam darüber zu sprechen. Meine Eltern waren erst still. Mein Vater weinte nicht, aber ich sah, wie er schluckte. Meine Mutter fragte tausend Fragen, alle durcheinander. Es war nicht einfach. Aber sie versuchten, es zu verstehen. Ich glaube, das war das Wichtigste.

In der Schule war es anders.

Ich traute mich zuerst nur mit einer engen Freundin zu sprechen. Sie nahm mich in den Arm und sagte: „Okay, Lena. Schön, dass du da bist.“ Das gab mir Mut. Ich sagte meiner Klassenlehrerin Bescheid. Sie war verständnisvoll – aber überfordert. Und weil sie überfordert war, sprach sie mit anderen.

Doch ihr kennt es selbst, Gossip verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Schon nach 2 Tagen wusste es die halbe Klasse.

„Bist du jetzt ein Mädchen oder was?“

„Ey, *Deadname* trägt jetzt Zöpfe – wie peinlich ist das denn?“

„Willst du etwa bei uns in die Mädchentoilette? Träum weiter.“

Lachen. Tuscheln. Blicke. Stille, wenn ich den Raum betrat. Und dann der Tag, an dem ich im Sportunterricht war und jemand laut rief: „Guckt mal, *Deadname* hat keine Titten, wie soll der nen Mädchen sein!“

Ich rannte raus. Ich lief einfach nur. Ich weiß nicht wohin. Ich wollte nur weg. Weg von allem.

Meine Lehrerin sprach danach mit der Klasse. Es half nichts. Die Jungs mieden mich, die Mädchen waren unsicher, wo ich hingehörte. Ich gehörte nirgends hin. Wieder.

Ich wurde krankgeschrieben. Die Therapeutin sprach mit meinen Eltern. „Lena braucht einen geschützten Raum. Einen echten Neuanfang.“ Ich wollte das nicht. Ich wollte nicht schon wieder wechseln. Ich wollte einfach, dass sie mich in Ruhe lassen.

Aber ich konnte nicht mehr atmen dort.

Also wechselte ich die Schule.

In der neuen Schule kannte mich niemand. Ich stellte mich direkt als Lena vor. Sie wussten nichts von meinem Deadname. Ich hatte neue Kleidung, einen neuen Rucksack, einen neuen Namen in der Klassenliste.

Und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich einfach sein. Nicht erklären, nicht rechtfertigen. Ich war einfach ein Mädchen unter vielen.

Nicht alles war perfekt. Es gibt Blicke, es gibt Fragen. Aber es gibt auch Respekt. Und eine Mitschülerin, die irgendwann einfach fragte: „Hast du Lust, mit in die Stadt zu kommen? Wir kaufen Sommerkleider.“ Ich war so glücklich, dass ich fast weinte.

Ich bin noch nicht am Ziel. Ich bin mitten auf dem Weg. Ich kämpfe mit Ängsten, mit Papierkram, mit Blicken in der Bahn. Aber ich kämpfe nicht mehr allein. Und ich bin endlich ein Mädchen. Ich bin endlich Ich!

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