Triggerwarnung: Mobbing/Suizidalität

Ich war nie besonders laut. Ich war die, die hinten saß, gute Noten schrieb, sich nicht einmischte. Ich mochte Schule – oder zumindest störte sie mich nicht. Bis zur Oberstufe. Bis zu diesem einen Lehrer.

Herr B. war mein neuer Mathelehrer. Schon am ersten Tag hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht mochte. Ich kann nicht genau sagen, warum. Vielleicht, weil ich zögerlich war, weil ich nicht sofort alles verstand. Beim ersten Mal dachte ich noch, ich hätte mich verhört. „Du bist wirklich schlecht in Mathe“, sagte er, als ich die falsche Antwort gegeben hatte. „So wirst du niemals dein Abitur bestehen.“ Die Klasse lachte.

Ich lachte nicht. Ich fühlte, wie mein Gesicht heiß wurde, wie mein Herz raste. Ich wollte im Boden versinken. Doch das war nur der Anfang.

Es passierte immer wieder. Er stellte mich bloß, rollte die Augen, ließ mich Aufgaben an der Tafel machen und kommentierte jeden Fehler laut und spöttisch. „Das ist ja selbst für dich peinlich“, sagte er mal. Und irgendwann begann auch der Rest der Klasse, mich auszulachen. Ich war die Dumme, die Versagerin. „Mathe-Lara“, nannten sie mich – als Witz, nicht als Spitznamen.

Ich fing an, mich zurückzuziehen. Ich redete kaum noch in der Schule, traute mich nicht mehr, mich zu melden. In den Pausen stand ich allein. Manche tuschelten, andere warfen mir Zettel hin: „Dumm wie Brot“ stand da einmal drauf.

Zuhause sagte ich nichts. Meine Eltern fragten natürlich – sie merkten, dass ich mich veränderte, dass ich weniger aß, weniger lachte, dass ich nur noch in meinem Zimmer saß. Ich sagte immer nur: „Ist nichts. Nur viel zu lernen.“

Aber es war nicht nichts. Es war alles. Ich fühlte mich wertlos. Ich konnte kaum noch schlafen, lag stundenlang wach und dachte: Ich schaffe das nicht. Ich bin nichts wert. Ich will nicht mehr.

Der Punkt kam, an dem ich mir ernsthaft etwas antun wollte. Ich hatte es geplant. Ich hatte sogar einen Abschiedsbrief geschrieben. Aber meine Mutter kam zufällig ins Zimmer, als ich gerade weinte. Danach ging alles schnell: Klinik, Gespräche, Tränen. Viel Schweigen. Aber auch: das erste Mal reden. Endlich sagen, was wirklich los war.

Meine Therapeutin kontaktierte die Schule. Der Rektor wurde informiert. Ich hatte gehofft, jetzt würde sich etwas ändern. Aber nichts passierte. Herr B. sagte, er habe mich „motivieren“ wollen. Ich hätte wohl „alles etwas zu ernst genommen“. Und der Rektor? Er hielt zu ihm. Sagte nur: „Vielleicht lag ein Missverständnis vor.“

Ein Missverständnis? Ich fühlte mich verraten. Also ging ich. Ich konnte nicht zurück in diese Klasse, in diesen Raum, zu diesem Lehrer. Ich wechselte die Schule.

Dort war es anders. Nicht perfekt, aber besser. Ich fand langsam Menschen, die mich so sahen, wie ich wirklich war. Ich kämpfte mich durch. Ich machte mein Abitur. In Mathe gerade so bestanden – aber ich hab’s geschafft. Und das war mein Sieg.

Heute studiere ich Psychologie. Ich will mit Jugendlichen arbeiten, die durch sowas gehen wie ich. Weil ich weiß, wie einsam man sein kann. Wie schwer es ist, Hilfe zu holen. Und wie wichtig es ist, dass einen jemand sieht. Wirklich sieht.

Ich bin noch da. Und ich bin stärker, als sie dachten.

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