Februar 2024

Meine Mobbinggeschichte

Ich bin Franziska, aber eigentlich nennen mich alle nur Franzi.

Ich komme aus einer sehr strengen und konservativen Familie. Ich habe 5 Geschwister und ich bin die jüngste von allen. Mein ältester Bruder ist 16 Jahre älter als ich. Ich bin also das kleine ,,Nesthäkchen“, wenn man so will. Alle meine Geschwister sind heterosexuell, doch ich wusste bereits im Kindergarten, dass ich anders bin. Ich wusste irgendwie, dass ich nicht auf Männer stehe und wenn überhaupt nur freundschaftlich an ihnen interessiert war. Was das eigentlich bedeutet, ist mir natürlich erst später klar geworden, als ich mein ,,innerliches Outing“ mit 12 hatte. Meinen Eltern gegenüber habe ich mich (zum ersten Mal) mit 16 geoutet. Meine Mutter ist damals daraufhin – zum Glück das einzige Mal – handgreiflich geworden, weil sie mich, wie ich bin, nicht akzeptiert hatte. Es war schmerzhaft für mich, nicht die Unterstützung bekommen zu haben, die ich mir so sehr gewünscht hatte. Gerade ihre Akzeptanz für das Thema war mir wichtig – schließlich macht es mich zu keinem anderen Menschen als zu dem, der ich vorher auch schon war. Es dauerte deshalb eine gewisse Zeit, mich nach außen hin gänzlich präsentieren zu können, wie ich eben bin – aus Angst vor weiterer Ablehnung.

 

"Erst durch meine Frau habe ich mich getraut, wenigstens 1 bis 2 Tattoos zu zeigen."

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie Kleider gemocht, wollte mich nie schminken und habe die langen Haare, die meine Mutter an mir haben wollte, schon immer gehasst. Das war einfach nicht ich. Als ich mich dann aber endlich getraut hatte, meiner Mutter die Wahrheit über meine Sexualität zu sagen, schnitt ich meine Haare radikal ab. Seitdem höre ich Jahr für Jahr die gleiche Frage, warum ich denn nur so kurze Haare hätte und muss mir dauerhaft dumme Sprüche anhören.

Selbst 15 Jahre später versteht meine Mutter immer noch nicht, dass es meine Entscheidung ist, wie ich mich und meine Haare präsentieren möchte und dass eine Frisur nichts über das Geschlecht oder die Sexualität aussagt. 

Ich war seitdem immer gefangen zwischen der Frage, ob ich mir ,,wirklich sicher sei“ und nicht ,,doch mal einen Mann mit nach Hause bringen möchte“ und der Frage, warum ich denn so ,,männlich“ aussehe, aber meine Partnerinnen immer alle so ,,weiblich“. So begann ich, auch meine Beziehungen geheimzuhalten und so gut wie keiner Partnerin meinen Eltern vorzustellen.

Mit der Zeit habe ich immer mehr vor meinen Eltern verheimlicht. Ich habe mehrere Tattoos, die ich jedes Jahr – selbst im Sommer (!) unter langen Klamotten vor meinen Eltern verstecke, weil ich Angst vor der Reaktion meiner Mutter habe. Noch heute führe ich diesen innerlichen Kampf mit mir, weil ich fürchte, dass sie mich dann nicht mehr lieb hat. Meine Tunnel verstecke ich ebenfalls bei Besuchen hinter Plugs, die so aussehen wie große Ohrringe – genau wie mein Septum. 

Kurz und knapp gesagt: Bis heute kann ich mich meinen Eltern nicht zeigen, wie ich bin, aus Angst vor Ablehnung.

Erst durch meine Frau habe ich mich getraut wenigstens ein bis zwei Tattoos zu zeigen. Ich habe bis jetzt noch nicht mehr geschafft.

Doch auch wenn ich teils noch Schwierigkeiten damit habe, mich zu offenbaren, weiß ich, dass ich es schaffen werde, meinen Eltern zu zeigen, dass ich nicht nur ein ,,schwarzes Schaf“ bin. Ich bin stolz darauf, wie und wer ich bin, auch wenn ich mich nicht immer traue, das jedem zu zeigen. 

Das ist heute noch nicht leicht für mich, weil einzelne Situationen und große Lebensentscheidungen immer stark hinterfragt und kritisiert wurden. So habe ich beispielsweise kurz vor meiner Hochzeit auch noch zusätzlichen Druck von meiner Mutter zu spüren bekommen: 

  • Will ich wirklich eine Frau heiraten? Soll ich nicht noch warten, bis ich doch den ,,richtigen Mann“ finde?
  • Wenn ich im Anzug komme und meine Frau im Kleid würde sie, meine Mutter, nicht kommen. Meine Frau würde mich damit nämlich zu „einem Mann“ machen wollen.
  • Ich würde sie nun viel seltener besuchen und wir hätten wegen meiner Frau noch weniger Kontakt.

Ob Anzug oder nicht – ich sehe noch immer aus wie bei meinem Outing damals. Dass ich im Anzug kommen wollte, war ganz allein meine Entscheidung – wie Ihr ja schon wisst, habe ich Kleider nie gemocht.

Ja, seit der Hochzeit besuche ich sie weniger – weil ich anfange, selbstständig zu leben. Ich benötige nicht mehr die Hilfe meiner Mutter, die immer alles getan hat, anstatt mir zu zeigen, wie man Dinge selbst erledigt.

"Ich bin stolz darauf, wie ich bin."

Somit fange ich an, mich von dem kleinen Schwarzen Schaf, für das immer alles erledigt wurde, zu einer selbstständigen und stolzen Frau zu entwickeln. Dank meiner Frau und meiner Freunde habe ich nun eine Wahlfamilie, in deren Gegenwart ich so sein kann, wie ich bin – als eine Frau, die aus sich und ihren Erfahrungen erwächst und lernen kann, ohne verurteilt oder kritisiert zu werden. Ich muss mich nicht mehr verstecken und dadurch werde ich langsam aber sicher meinen Weg meistern – bis ich der Welt zeigen kann, wer ich bin, ohne mich jemals wieder verstellen zu müssen.