Hi! Ich bin 19 Jahre alt und stehe gerade am Anfang meiner beruflichen Karriere.Â
Ergo, die Schulzeit ist bei mir noch nicht allzu lange her. Und die war geprĂ€gt von vielen âUpâs und âDownâs â besonders im sozialen Umgang der SchĂŒlerinnen und SchĂŒler miteinander. Schon bald habe ich gelernt und erlebt, welche Auswirkungen Mobbing haben kann, was Mobbing mit dem SelbstwertgefĂŒhl betroffener Menschen macht und wie Menschen von auĂen einfach nur tatenlos danebenstehen und zusehen. Diese Zeit hat mich sehr geprĂ€gt; denn Unrecht war und ist etwas, was mich unglaublich wĂŒtend macht. Herablassende SprĂŒche, das verbale und körperliche Attackieren von Personen und das aktive Ignorieren. Mir war schon sehr frĂŒh bewusst: die Ausgrenzungen, die Menschen tagtĂ€glich erleben, mĂŒssen ein Ende finden â und wir können aktiv dazu beitragen.
Somit beginnt meine Geschichte â eine Person, die Mobbing nie wirklich am eigenen Leib erfahren musste, aber dennoch hautnah miterlebte.
Ich möchte euch hiermit nur zwei Beispiele aus meinem Leben nennen, die ich finde, sehr eindrĂŒcklich zeigen, warum es wichtig ist, sich fĂŒr Menschen einzusetzen, die Hilfe brauchen.
In der ersten Klasse der Grundschule habe ich ein MĂ€dchen kennengelernt, das bereits seit dem ersten Tag âandersâ als andere schien. Menschen begannen, Kommentare zu reiĂen wie âDie ist ja komischâ, âBoah, was hat die denn schon wiederâ oder âDie dreht ja völlig durchâ â und ja, leider kamen diese Kommentare nicht nur von SchĂŒlerinnen und SchĂŒlern, sondern auch von den LehrkrĂ€ften. WĂ€hrend sich immer mehr von ihr abwandten, wollte ich sie kennenlernen. Mir hat ihr âAndersâ keine Angst gemacht â ich wollte sie verstehen lernen und setzte mich im Unterricht neben sie. Ich lernte etwas ĂŒber ihre Hobbys, darĂŒber, was ihr so gefĂ€llt und mir wurde schon ganz frĂŒh klar: Wir sind gar nicht so verschieden.Â
Ihre Situation schien sich in der Schule jedoch leider zu verschlechtern. Es gab Situationen, in denen sie von den LehrkrĂ€ften aus dem Unterricht körperlich rausgezogen wurde (!) und sie musste einen âExtra-Kursâ fĂŒr das soziale Miteinander belegen. (Dabei waren es die LehrkrĂ€fte und meine MitschĂŒler:innen, die diesen Kurs gut gebrauchen hĂ€tten können.) Ich habe mich damals zu ihr in den Kurs gesetzt, damit sie da nicht allein durch musste. Auch wenn ich immer versucht habe, fĂŒr sie da zu sein, wenn es nur ging, konnte sie durch die Ă€uĂeren UmstĂ€nde einfach keinen Halt finden. SpĂ€ter musste sie die Schule verlassen und danach habe ich leider nie wieder etwas von ihr gehört. Sie befand sich im autistischen Spektrum und die Schule hat nicht einmal versucht, ihr gerecht zu werden. Heute wird mir immer bewusster, wie sehr die Schule an dieser Stelle versagt hat.

Die weitere Grundschulzeit war geprĂ€gt von GerĂŒchten, die meine MitschĂŒlerinnen und MitschĂŒler ĂŒber sich verbreitet haben und auch wenn das viele Leute â insbesondere LehrkrĂ€fte und Eltern â als ânormalâ abgestempelt haben, so fand ich das Ganze schon immer bizarr. Das Reden hinter dem RĂŒcken und das aktive Ignorieren, was man heute vermutlich als âGhostingâ bezeichnen wĂŒrde, hat Menschen verletzt. Bevor mir die Themenzentrierte Interaktion ein Begriff war, handelte ich schon danach: Wenn ich mitbekommen habe, dass Person A schlecht von Person B sprach, so unterbrach ich Person A und teilte Person B mit, was man ĂŒber sie erzĂ€hlt. Wir sind dann meist gemeinsam zu den LehrkrĂ€ften gegangen, um sie darĂŒber zu informieren. Doch egal, ob es sich um LĂ€stern, ignorieren oder öffentliches Attackieren handelte, meist hieĂ es doch nur âEs sind ja nur Kinder. Die meinen das nicht so. Die mĂŒssen ja noch wachsen.â
Als wÀre das nicht schon genug, kommt hier noch der bittere Twist: Glaubt nicht, dass es eine gewöhnliche Grundschule war, auf die ich ging, nein. Es war eine evangelische Schule, die jeden Tag die NÀchstenliebe und das Miteinander predigte, aber zu meiner Zeit in keine Akutsituation eingriff.
Diese Erfahrungen nahm ich nun mit in meine neue Schule â in die fĂŒnfte Klasse eines altsprachlichen Gymnasiums. Dort lernte ich ein MĂ€dchen kennen, was mich von Anfang an faszinierte: In einer Klasse, in der nur 10-JĂ€hrige saĂen, saĂ sie als 8-JĂ€hrige mit Kenntnissen und einer Intelligenz, die ihresgleichen suchte. Ich bewunderte sie sehr, unternahm Vieles mit ihr in den Pausen und auch im AuĂerschulischen: Doch statt sie zu bewundern, sie zu verstehen oder sie kennenzulernen, fanden meine MitschĂŒlerinnen und MitschĂŒler auch hier leider erneut GrĂŒnde, dieses MĂ€dchen fertig zu machen auf eine Art und Weise, die mit nichts mehr zu rechtfertigen war. In den Pausen gab es einen Sand-Volleyball-Platz, bei dem wir gerne Blinde Kuh gespielt haben. Einmal nur eskalierte es so sehr, dass die Leute um uns herum begonnen haben, das MĂ€dchen, welches diesmal an der Reihe war, mit verbundenen Augen zu schupsen, darĂŒber zu lachen und ihr eine umgekippte MĂŒlltonne mit voller Wucht gegen die Beine zu treten. Ich habe danach nie wieder mit den anderen Blinde Kuh gespielt, ich teilte den Vorfall den LehrkrĂ€ften mit, doch ihr könnt euch vorstellen: Auch sie unternahmen nichts. Sie machten ihre Situation nur noch viel schlimmer.Â
Das MĂ€dchen, von dem ich spreche, aĂ in den Pausen gerne griechischen Joghurt und hatte immer Nelken bei sich. Meine MitschĂŒlerinnen und MitschĂŒler fanden das lustig, rissen im Klassenchat darĂŒber stĂ€ndig Witze â und besorgten ein âGeschenkâ fĂŒr sie, welches sie eines Tages mit gehĂ€ssigem Grinsen an sie ĂŒberreichten. Es waren Deo und Seife, die sie ihr mit den Worten âHier, das haben wir dir besorgt. Wir dachten, du könntest es gut gebrauchen, weil du einen guten Geruch aus deiner Kultur ja nicht kennstâ in die HĂ€nde drĂŒckten, wĂ€hrend sie sich die Nase zuhielten. Ich bin damals mit ihr raus aus dem Raum, sie hatte schrecklich deswegen geweint. Ăber Nacht verfassten ihre Eltern einen siebenseitigen Brief ĂŒber die Geschehnisse gegen ihre Tochter an die Eltern der Mobber, welchen sie aber auch an die anderen Eltern schickten, um ihnen zu zeigen, was dort vor sich geht.Â
Die Eltern haben sich beschwert, dass sie sowas nicht bekommen wollen, es seien ja nur Kinder und es sei alles nur halb so dramatisch.
Die Mobber haben sich beschwert, sie haben ihr ja nur helfen wollen und sie könnten ja nichts dafĂŒr, dass sie so âstinktâ.
Die Lehrerinnen und Lehrer teilten mit, dass sie keine weiteren Briefe erhalten wollen, weil es eine Frechheit sei, dass sie da mit reingezogen werden. Und auch sie machten weiter, wo sie aufgehört haben: Herablassende Kommentare und Blicke im Unterricht dem MĂ€dchen gegenĂŒber und genervtes Augenrollen.
Viele weitere Situationen dergleichen stauten sich auf und nichts hielt sie davon ab, mit Ignoranz und GehĂ€ssigkeiten gegen das zwei Jahre jĂŒngere MĂ€dchen zu opponieren.Â
Sie hat mir so leidgetan und ich griff in das Geschehen ein, wann und wo es mir nur möglich war. Nur leider war ich irgendwann nicht mehr da und ich wusste nicht, wie es weiter um sie geschieht: Nach der sechsten Klasse bin ich nach Schleswig-Holstein gezogen und habe mit ihr keinen Kontakt mehr halten können. Vor zwei Jahren aber â und ihr könnt euch sicher vorstellen, wie glĂŒcklich ich darĂŒber war â habe ich ein Bild von ihr auf der Homepage meiner alten Schule gesehen. Sie hat ihr Abitur als Jahrgangsbeste abgeschlossen.Â
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Diese Erfahrungen haben mir gezeigt â und es kamen noch unzĂ€hlig weitere â dass man noch aktiver und einschneidender in das Mobbing engreifen muss, welches bereits im Kindesalter beginnt, weil diese Zeit so unglaublich prĂ€gend ist. Wenn ich Menschen von auĂen versuche, dazu zu bewegen, auf diesen Zug mit aufzuspringen, so höre ich sie noch heute sehr oft sagen âJeder muss mal abkönnen, geĂ€rgert zu werden. Sonst erreicht man ja in der heutigen Welt nichts mehr. Man muss sich darauf einstellen, dass einem die Welt nicht immer gut gesinnt ist (âŠ)â. Darauf weiĂ ich nur eines: SelbstverstĂ€ndlich gibt es einen Unterschied zwischen Ărgern und Mobbing. Wenn sich aber eine Gruppe von Menschen ĂŒber einen langen Zeitraum gegen dich verschworen hat, fĂ€ngst du an, zu denken, du seist das Problem. Und wenn du keine UnterstĂŒtzung gerade in diesen Phasen deines Lebens bekommst, fĂŒhlst du dich einsam. Du verlierst Hoffnung auf eine bessere Zukunft, fĂŒhlst dich vom AuĂen abgetrennt und entfernst dich in deinen Gedanken immer weiter von ihnen. UnabhĂ€ngig davon sehe ich ein weiteres Problem ganz woanders: Wenn man sich darauf einstellen muss, dass die Welt hĂ€sslich und unfair zu dir ist, dann muss etwas in der Welt verĂ€ndert werden.
Meine Mutter als Initiatorin machte es möglich, dass wir gemeinsam den Verein Anders? = Anders e.V. genau aus diesem Grund gegrĂŒndet haben. Mit dem Verein ist es fĂŒr uns aktiv möglich, in das Geschehen z.B. in den Schulen einzugreifen, wo die LehrkrĂ€fte nur zusehen oder das Mobbing sogar noch begĂŒnstigen. Es ist möglich, Menschen auf der ganzen Welt, egal, wie alleingelassen sie sich fĂŒhlen, zu erreichen und ihnen zu sagen: Hey! Du bist genau richtig, wie du bist! â und durch unsere Discord-Angebote mit ihnen Zeit zu verbringen.
Auf meinem Weg von der Grundschule bis jetzt habe ich gelernt:
Es ist nie falsch, dich fĂŒr Menschen einzusetzen, sie kennenzulernen, was man auch ĂŒber sie erzĂ€hlt. Es ist immer richtig, den Menschen das GefĂŒhl zu geben, dass sie gebraucht werden, dass sie einem nicht egal sind und dass du mit ihnen gemeinsam die Wege fĂŒr die Zukunft beschreitest, die sie nicht allein bewĂ€ltigen können. Denn egal, wer und wie du bist: Dich kann es auch treffen. Es wird immer Menschen geben, die etwas gegen einen haben werden, es wird Phasen geben, in denen man sich abgegrenzt von anderen und alleingelassen fĂŒhlt. Phasen, in denen man aktiv gegen einen opponiert, obwohl man nichts Falsches gemacht hat. Sei in dem Moment fĂŒr die Betroffenen da, gib den Menschen das, was du auch fĂŒr dich in so einem Fall gerne hĂ€ttest, und ich kann dir versprechen: Du wirst dich hin und wieder allein fĂŒhlen, aber niemals wieder einsam.
Hilf Menschen, denen du helfen kannst, setze dich fĂŒr sie ein, wenn du siehst, dass sie es allein nicht schaffen und sei einfach da, wenn sie dich brauchen. Du gibst damit so viel mehr, als es möglich ist, in Worte zu fassen.