April 2024

„Ich kämpfe für jene, denen Unrecht widerfährt“

Hi! Ich bin 19 Jahre alt und stehe gerade am Anfang meiner beruflichen Karriere. 

Ergo, die Schulzeit ist bei mir noch nicht allzu lange her. Und die war geprägt von vielen „Up“s und „Down“s – besonders im sozialen Umgang der Schülerinnen und Schüler miteinander. Schon bald habe ich gelernt und erlebt, welche Auswirkungen Mobbing haben kann, was Mobbing mit dem Selbstwertgefühl betroffener Menschen macht und wie Menschen von außen einfach nur tatenlos danebenstehen und zusehen. Diese Zeit hat mich sehr geprägt; denn Unrecht war und ist etwas, was mich unglaublich wütend macht. Herablassende Sprüche, das verbale und körperliche Attackieren von Personen und das aktive Ignorieren. Mir war schon sehr früh bewusst: die Ausgrenzungen, die Menschen tagtäglich erleben, müssen ein Ende finden – und wir können aktiv dazu beitragen.

Somit beginnt meine Geschichte – eine Person, die Mobbing nie wirklich am eigenen Leib erfahren musste, aber dennoch hautnah miterlebte.

Ich möchte euch hiermit nur zwei Beispiele aus meinem Leben nennen, die ich finde, sehr eindrücklich zeigen, warum es wichtig ist, sich für Menschen einzusetzen, die Hilfe brauchen.

In der ersten Klasse der Grundschule habe ich ein Mädchen kennengelernt, das bereits seit dem ersten Tag „anders“ als andere schien. Menschen begannen, Kommentare zu reißen wie „Die ist ja komisch“, „Boah, was hat die denn schon wieder“ oder „Die dreht ja völlig durch“ – und ja, leider kamen diese Kommentare nicht nur von Schülerinnen und Schülern, sondern auch von den Lehrkräften. Während sich immer mehr von ihr abwandten, wollte ich sie kennenlernen. Mir hat ihr „Anders“ keine Angst gemacht – ich wollte sie verstehen lernen und setzte mich im Unterricht neben sie. Ich lernte etwas über ihre Hobbys, darüber, was ihr so gefällt und mir wurde schon ganz früh klar: Wir sind gar nicht so verschieden. 

Ihre Situation schien sich in der Schule jedoch leider zu verschlechtern. Es gab Situationen, in denen sie von den Lehrkräften aus dem Unterricht körperlich rausgezogen wurde (!) und sie musste einen „Extra-Kurs“ für das soziale Miteinander belegen. (Dabei waren es die Lehrkräfte und meine Mitschüler:innen, die diesen Kurs gut gebrauchen hätten können.) Ich habe mich damals zu ihr in den Kurs gesetzt, damit sie da nicht allein durch musste.  Auch wenn ich immer versucht habe, für sie da zu sein, wenn es nur ging, konnte sie durch die äußeren Umstände einfach keinen Halt finden. Später musste sie die Schule verlassen und danach habe ich leider nie wieder etwas von ihr gehört. Sie befand sich im autistischen Spektrum und die Schule hat nicht einmal versucht, ihr gerecht zu werden. Heute wird mir immer bewusster, wie sehr die Schule an dieser Stelle versagt hat.

Die weitere Grundschulzeit war geprägt von Gerüchten, die meine Mitschülerinnen und Mitschüler über sich verbreitet haben und auch wenn das viele Leute – insbesondere Lehrkräfte und Eltern – als „normal“ abgestempelt haben, so fand ich das Ganze schon immer bizarr. Das Reden hinter dem Rücken und das aktive Ignorieren, was man heute vermutlich als „Ghosting“ bezeichnen würde, hat Menschen verletzt. Bevor mir die Themenzentrierte Interaktion ein Begriff war, handelte ich schon danach: Wenn ich mitbekommen habe, dass Person A schlecht von Person B sprach, so unterbrach ich Person A und teilte Person B mit, was man über sie erzählt. Wir sind dann meist gemeinsam zu den Lehrkräften gegangen, um sie darüber zu informieren. Doch egal, ob es sich um Lästern, ignorieren oder öffentliches Attackieren handelte, meist hieß es doch nur „Es sind ja nur Kinder. Die meinen das nicht so. Die müssen ja noch wachsen.“

Als wäre das nicht schon genug, kommt hier noch der bittere Twist: Glaubt nicht, dass es eine gewöhnliche Grundschule war, auf die ich ging, nein. Es war eine evangelische Schule, die jeden Tag die Nächstenliebe und das Miteinander predigte, aber zu meiner Zeit in keine Akutsituation eingriff.

Diese Erfahrungen nahm ich nun mit in meine neue Schule – in die fünfte Klasse eines altsprachlichen Gymnasiums. Dort lernte ich ein Mädchen kennen, was mich von Anfang an faszinierte: In einer Klasse, in der nur 10-Jährige saßen, saß sie als 8-Jährige mit Kenntnissen und einer Intelligenz, die ihresgleichen suchte. Ich bewunderte sie sehr, unternahm Vieles mit ihr in den Pausen und auch im Außerschulischen: Doch statt sie zu bewundern, sie zu verstehen oder sie kennenzulernen, fanden meine Mitschülerinnen und Mitschüler auch hier leider erneut Gründe, dieses Mädchen fertig zu machen auf eine Art und Weise, die mit nichts mehr zu rechtfertigen war. In den Pausen gab es einen Sand-Volleyball-Platz, bei dem wir gerne Blinde Kuh gespielt haben. Einmal nur eskalierte es so sehr, dass die Leute um uns herum begonnen haben, das Mädchen, welches diesmal an der Reihe war, mit verbundenen Augen zu schupsen, darüber zu lachen und ihr eine umgekippte Mülltonne mit voller Wucht gegen die Beine zu treten. Ich habe danach nie wieder mit den anderen Blinde Kuh gespielt, ich teilte den Vorfall den Lehrkräften mit, doch ihr könnt euch vorstellen: Auch sie unternahmen nichts. Sie machten ihre Situation nur noch viel schlimmer. 

Das Mädchen, von dem ich spreche, aß in den Pausen gerne griechischen Joghurt und hatte immer Nelken bei sich. Meine Mitschülerinnen und Mitschüler fanden das lustig, rissen im Klassenchat darüber ständig Witze – und besorgten ein „Geschenk“ für sie, welches sie eines Tages mit gehässigem Grinsen an sie überreichten. Es waren Deo und Seife, die sie ihr mit den Worten „Hier, das haben wir dir besorgt. Wir dachten, du könntest es gut gebrauchen, weil du einen guten Geruch aus deiner Kultur ja nicht kennst“ in die Hände drückten, während sie sich die Nase zuhielten. Ich bin damals mit ihr raus aus dem Raum, sie hatte schrecklich deswegen geweint. Über Nacht verfassten ihre Eltern einen siebenseitigen Brief über die Geschehnisse gegen ihre Tochter an die Eltern der Mobber, welchen sie aber auch an die anderen Eltern schickten, um ihnen zu zeigen, was dort vor sich geht. 

Die Eltern haben sich beschwert, dass sie sowas nicht bekommen wollen, es seien ja nur Kinder und es sei alles nur halb so dramatisch.

Die Mobber haben sich beschwert, sie haben ihr ja nur helfen wollen und sie könnten ja nichts dafür, dass sie so „stinkt“.

Die Lehrerinnen und Lehrer teilten mit, dass sie keine weiteren Briefe erhalten wollen, weil es eine Frechheit sei, dass sie da mit reingezogen werden. Und auch sie machten weiter, wo sie aufgehört haben: Herablassende Kommentare und Blicke im Unterricht dem Mädchen gegenüber und genervtes Augenrollen.

Viele weitere Situationen dergleichen stauten sich auf und nichts hielt sie davon ab, mit Ignoranz und Gehässigkeiten gegen das zwei Jahre jüngere Mädchen zu opponieren. 

Sie hat mir so leidgetan und ich griff in das Geschehen ein, wann und wo es mir nur möglich war. Nur leider war ich irgendwann nicht mehr da und ich wusste nicht, wie es weiter um sie geschieht: Nach der sechsten Klasse bin ich nach Schleswig-Holstein gezogen und habe mit ihr keinen Kontakt mehr halten können. Vor zwei Jahren aber – und ihr könnt euch sicher vorstellen, wie glücklich ich darüber war – habe ich ein Bild von ihr auf der Homepage meiner alten Schule gesehen. Sie hat ihr Abitur als Jahrgangsbeste abgeschlossen. 

 

Diese Erfahrungen haben mir gezeigt – und es kamen noch unzählig weitere – dass man noch aktiver und einschneidender in das Mobbing engreifen muss, welches bereits im Kindesalter beginnt, weil diese Zeit so unglaublich prägend ist. Wenn ich Menschen von außen versuche, dazu zu bewegen, auf diesen Zug mit aufzuspringen, so höre ich sie noch heute sehr oft sagen „Jeder muss mal abkönnen, geärgert zu werden. Sonst erreicht man ja in der heutigen Welt nichts mehr. Man muss sich darauf einstellen, dass einem die Welt nicht immer gut gesinnt ist (…)“. Darauf weiß ich nur eines: Selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen Ärgern und Mobbing. Wenn sich aber eine Gruppe von Menschen über einen langen Zeitraum gegen dich verschworen hat, fängst du an, zu denken, du seist das Problem. Und wenn du keine Unterstützung gerade in diesen Phasen deines Lebens bekommst, fühlst du dich einsam. Du verlierst Hoffnung auf eine bessere Zukunft, fühlst dich vom Außen abgetrennt und entfernst dich in deinen Gedanken immer weiter von ihnen. Unabhängig davon sehe ich ein weiteres Problem ganz woanders: Wenn man sich darauf einstellen muss, dass die Welt hässlich und unfair zu dir ist, dann muss etwas in der Welt verändert werden.

Und dazu können wir alle beitragen.

Meine Mutter als Initiatorin machte es möglich, dass wir gemeinsam den Verein Anders? = Anders e.V. genau aus diesem Grund gegründet haben. Mit dem Verein ist es für uns aktiv möglich, in das Geschehen z.B. in den Schulen einzugreifen, wo die Lehrkräfte nur zusehen oder das Mobbing sogar noch begünstigen. Es ist möglich, Menschen auf der ganzen Welt, egal, wie alleingelassen sie sich fühlen, zu erreichen und ihnen zu sagen: Hey! Du bist genau richtig, wie du bist! – und durch unsere Discord-Angebote mit ihnen Zeit zu verbringen.

Auf meinem Weg von der Grundschule bis jetzt habe ich gelernt:

Es ist nie falsch, dich für Menschen einzusetzen, sie kennenzulernen, was man auch über sie erzählt. Es ist immer richtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie gebraucht werden, dass sie einem nicht egal sind und dass du mit ihnen gemeinsam die Wege für die Zukunft beschreitest, die sie nicht allein bewältigen können. Denn egal, wer und wie du bist: Dich kann es auch treffen. Es wird immer Menschen geben, die etwas gegen einen haben werden, es wird Phasen geben, in denen man sich abgegrenzt von anderen und alleingelassen fühlt. Phasen, in denen man aktiv gegen einen opponiert, obwohl man nichts Falsches gemacht hat. Sei in dem Moment für die Betroffenen da, gib den Menschen das, was du auch für dich in so einem Fall gerne hättest, und ich kann dir versprechen: Du wirst dich hin und wieder allein fühlen, aber niemals wieder einsam.

Hilf Menschen, denen du helfen kannst, setze dich für sie ein, wenn du siehst, dass sie es allein nicht schaffen und sei einfach da, wenn sie dich brauchen. Du gibst damit so viel mehr, als es möglich ist, in Worte zu fassen.