Du bist ja so schön schlank…

Triggerwarnung

Restriktives Essverhalten, emotionale Instabilität und Klinik/psychiatrische Behandlung

„Du bist ja so schön schlank“

„Du bist ja so schön schlank“ – Ein Satz der bei mir eine regelrechte Achterbahn an Emotionen auslöst. Einerseits Stolz und Bestätigung, andererseits Scham, Angst und Trauer.
 
Hi, ich bin Laura, 23 Jahre alt und wurde mit Anorexie diagnostiziert. 
Soweit ich mich erinnern kann, hatte ich schon immer Schwierigkeiten, meine Gefühle und Emotionen auszudrücken und selbst zu erleben. Anders als das gemeine Klischee von „magersüchtigen“ Personen hatte ich nie den Wunsch gehabt, ein bestimmtes Gewicht zu erreichen oder das Gefühl, besonders Schlank sein zu müssen.
 
Ich sehe den Auslöser meiner Erkrankung in einer Mischung aus psychischem und physischem Stress, Überbelastung und einem extremen Kontrollverlust vor drei Jahren. Somit habe ich das anorektische (Ess-)verhalten erst im Erwachsenenalter entwickelt. Zu dem damaligen Zeitpunkt war das Nicht-Essen und die Kontrolle darüber was, wann und wie viel ich zu mir nehme, die einzige Möglichkeit, meine Emotionen und Empfindungen zu bändigen. Es gab Tage an denen ich gar nichts zu mir nehmen wollte und konnte. Ich habe mir eingeredet, dass einzelne Salatblätter adäquate Mahlzeiten sind oder, dass Kaffee eine adäquate Mahlzeit ist. Zeitgleich habe ich angefangen, exzessiv Sport zu betreiben, teilweise um zu rechtfertigen, dass ich Lebensmittel mit höherem Energielevel zu mir nehmen darf. Mit solchen Verhalten hatte ich „alles wieder im Griff“. Zeitgleich und rational betrachtet, habe ich aber alles verloren. Zuerst ein enormer Gewichtsverlust. Und ich habe wortwörtlich verlernt zu Essen. Mein Hunger- und Sättigungsgefühl waren quasi weg aber gleichzeitig auch sehr stark ausgeprägt. Was rational eine adäquate Mahlzeit ist, wusste ich nicht mehr und konnte es auch nicht mehr einschätzen. Eigentlich war alles „zu viel“.
 
 
Dann hatte ich kaum noch Kraft und mentale Kapazität für Dinge, die mir eigentlich Spaß gemacht haben. Meine Gedanken haben sich 24/7 nur noch um das Essen gedreht: wann? wie viel? was? ist es zu viel? darf ich? Abgesehen davon, dass ich mich hinsichtlich meiner körperlichen Gesundheit aufs Glatteis begeben hatte, wurde ich Emotional taub und stumpf. Ich habe kaum etwas anderes außer Leere und Anspannung empfunden. Demensprechend habe ich mich auch in meinem sozialen Umfeld verhalten. Ich hatte wortwörtlich mein Lachen verloren und zusätzlich fehlen mir auch diverse Erinnerungen. Es sind wahrhafte Erinnerungslücken in meinem Lebenslauf. Der Körper fährt bei extremer Unterernährung und in hohen Anspannungssituationen alles runter, um einfach nur am Leben zu bleiben.  
Mit der Unterstützung meiner Eltern habe ich mich dann Anfang 2021 in tagesklinische Behandlung begeben gehabt. Über 20 Wochen hinweg habe ich gelernt, wieder zu Essen und meinen eigenen Emotionen zu begegnen. In der Tagesklinik habe ich neben der Diagnose Anorexie auch erfahren, dass meine emotionale Instabilität (Borderline-Tendenzen) völlig legitim sind. In unterschiedlichen Therapie-Konzepten habe ich bestimmte Emotionen zum ersten Mal in meinem Leben gefühlt und erfahren.
 
Heute ist mir bewusst, dass ich sehr wahrscheinlich mein Leben lang Probleme mit meinem Essverhalten haben werde, bzw. mit diesem Thema sehr vorsichtig umgehen muss. Nach der Klinik-Zeit hatte ich leider wieder Rückfälle und bin in alte Verhaltensmuster reingerutscht. Ich habe aber mittlerweile Skills, Tricks und Strategien (selbst entwickelt und in der Klinik gelernt), dass ich tagtäglich der Anorexie von neuem den Kampf ansagen kann. Es gibt Tage, die einfacher sind und Tage, die verdammt schwer sind. Aktuell habe ich keine ambulante Therapie, bin aber in regelmäßigen Kontakt mit der Psychiaterin, die mich damals in der Klinik aufgenommen hat.
 
Es ist mir wichtig, nochmal ausdrücklich festzuhalten, dass Anorexie eine psychische Erkrankung ist, die optisch sichtbar ist. Demensprechend ist eine physische Behandlung wichtig, aber die Hintergründe/Ursachen/Intentionen MÜSSEN psychisch ergründet und entsprechend begleitet werden!

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cK

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