Hallo, Cedric!
Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview mit uns nimmst.
Ich freue mich ebenso!
Kommen wir doch direkt zur ersten Frage: Wann hast Du das erste Mal gemerkt, dass Du anders bist?
Ich habe es schon sehr früh gemerkt, da ich nicht ins typische Jungenbild gepasst habe. Ich war der einzige Junge beim Ballett und habe Kleider und High Heels getragen; die anderen Jungs in meinem Alter haben Fußball gespielt – doch das war nichts für mich. Dass ich anders bin, wurde mir spätestens klar, als ich mit elf Jahren auf die weiterführende Schule kam.
Wow, Ballett ist echt was Schönes! Cool, dass Du das so frei gemacht hast. Was genau wurde Dir denn klar, als Du auf die weiterführende Schule kamst?
Dass ich schwul bin. Das habe ich mit 14 Jahren gemerkt; ich fand Jungs toller als Mädchen, aber ansonsten weiß ich nicht mehr, woran ich es gemerkt habe. Ich habe mich beziehungstechnisch sehr von Mädchen distanziert. Mit 15 Jahren habe ich mich letzten Endes geoutet.
Ein sehr mutiger Schritt! Bei wem hast Du Dich geoutet; wie ist das Outing verlaufen?
Ich habe mich mit meinem Freundeskreis getroffen und das Thema langsam und vorsichtig eingeläutet. Später habe ich dann schließlich gesagt: „Ich stehe auf Männer! Wer etwas dagegen hat, soll bitte aufstehen“. Bei meiner Familie musste ich mir keine großen Gedanken machen – ich habe es einfach gesagt und es war für sie nicht überraschend – sie hatten es sich schon gedacht.
Schön, dass es alle so gut aufgenommen haben! Hast Du ab da angefangen, Dein Anderssein auszuleben?
In meiner Jugendzeit bin ich total offen damit umgegangen, weil mir nicht bewusst war, dass man dafür ausgegrenzt werden kann. Es war für mich völlig normal und ich konnte es jeder Person erzählen. Aber dann wurde es sehr negativ, denn ich wurde in der Schule fertiggemacht. Mir wurde ins Gesicht gespuckt, mir wurde Gewalt angedroht, wurde verbal beschimpft und verurteilt. Das Ganze ging so weit, dass ich einen Suizidversuch unternahm. Danach war ich drei Monate in der Psychiatrie.
Das klingt sehr bedrückend. Wie ging es Dir in der Psychiatrie?
Naja, ich war abgekapselt von allem – sollte nichts von außen mitkriegen. Somit durfte ich auch kein Handy besitzen. Der Sinn dahinter war, dass man abschaltet und sich auf die Sachen konzentriert, die in der Psychiatrie besprochen werden müssen. Ich musste mich damit beschäftigen, was Schwulenhass überhaupt bedeutet, warum man sich outen muss und dafür gemobbt wird. Für mich hat alles keinen Sinn ergeben. Warum gibt es Hass? Mensch ist Mensch. Ich wollte alles nicht wahrhaben. Nach drei Wochen ging es dann aufwärts. Ich habe angefangen, dazwischen zu gehen, wenn ich gesehen habe, dass jemand gemobbt wird. Ich versuchte mein Bestes und wollte auch als Privatperson für Andere einstehen. Da ist es mir egal, wenn ich mich angreifbar mache. Ich stehe dazu und gebe auch gerne Konter. Im FSJ sind später viele Jugendliche auf mich zugekommen, weil sie Angst hatten, sich zu outen. Durch solche Sachen verstehe ich die Menschheit ganz oft nicht: Warum machen sich alle gegenseitig fertig? Es ergibt keinen Sinn.
Wir finden es schön, dass Du es trotz Deiner eigenen Probleme geschafft hast, anderen Menschen zu helfen und ein FSJ zu starten. Wie lief das alles?
2019 machte ich meinen mittleren Bildungsabschluss, danach wollte ich mein Abitur machen. Dann aber kam die ganze Coronapandemie und schließlich begann ich das FSJ, um ein bisschen praktische Erfahrungen zu sammeln. Diese brauchte ich für mein Abi. In der Schule bin ich eine Ansprechperson für die Kinder und Jugendlichen: Ich habe ein eigenes Büro mit festen Öffnungszeiten und ein Zoom-Konto. Für gravierende Probleme der Kinder und Jugendlichen muss ich einen Schulsozialarbeiter einschalten, da ich als FSJler für die Kinder ich nicht zum Jugendamt gehen darf – diese Aufgabe muss ein ausgebildeter Pädagoge übernehmen. In den meisten Stories der Kinder geht es darum, dass sie Angst haben, sie selbst zu sein. Sie fragen mich: „Darf ich das oder werde ich deswegen verstoßen?“… Dabei geht es um das Normalste der Welt – das Anderssein. Ich sage ihnen immer: „Mach, was Dich glücklich macht. Das, was Andere über Dich sagen oder denken; darauf kommt es nicht an.“
Wir finden es toll, dass Du bereits in jungen Jahren Kindern und Jugendlichen eine große Hilfe bist. Was sind Deine Erfahrungen in Deiner Arbeit mit diesen?
Sie sind meistens fünfte bis zehnte Klasse, aber hauptsächlich Jugendliche aus der Mittelstufe. Manchmal setze ich mich mit unnötigen Streitereien auseinander, mit dem Thema Klimaschutz, manchmal mit Depressionen, Angststörungen oder auch Panikattacken. Dafür habe ich Skills-Listen vorbereitet, gebe auch meine private Handynummer in Notfällen heraus. Meine Woche war ohnehin schon voll mit Terminen, doch die Coronapandemie hat meine jetzige Arbeitssituation und Sozialphobie verschlimmert – in Menschenmengen mag ich gar nicht mehr eintauchen. Ich versuche dennoch alles, was in meiner Macht steht, um zu helfen.
Das bewundern wir wirklich sehr! Du hilfst den Kindern ja dabei, ihr Anderssein zu akzeptieren. Hast Du das auch schon immer geschafft oder hast Du Dir schon einmal gewünscht, nicht anders zu sein?
Daran kann ich mich nicht erinnern.
Hattest Du in der ganzen Zeit Deines Lebens Unterstützung von Freund*innen oder Deiner Familie?
Ja, meine Familie und meine beste Freundin haben mich unterstützt, standen immer hinter mir. Ich habe viele Freundschaften in der Zeit verloren, weil ich gemerkt habe, dass sie mich auch gemobbt und hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet haben. Ich habe erkannt, wer meine wahren Freunde sind und wer nicht.
Du hattest in Deinem Privatleben ja häufig Höhen und Tiefen. Was hat sich von damals bis heute in Deinem Leben geändert?
Der lebensfrohe Cedric war die letzten zwei Jahre weg, ich hatte wenig soziale Kontakte, hab mich auf das Nötigste beschränkt; die Lebensfreude kam aber letztens wieder zurück – meine Verschlossenheit ist wieder weg. Damals habe ich alles einfach so hingenommen; ich musste mir selbst in den Hintern treten, aber dafür setze ich mich heute zur Wehr und nehme nicht mehr alles einfach so hin. Ich habe mir als Ziel gesetzt, Leuten zu helfen.
Hattest Du etwas, was Dir dabei geholfen hat?
Als Hilfe habe ich mich dazu entschlossen, ein Buch über meine Vergangenheit zu schreiben, was ich auch tat. Das habe ich dann an einen Verlag geschickt, der mein Skript leider verschlampt hat. Ich habe mein überarbeitetes Skript auch blöderweise nicht abgespeichert, wodurch die Arbeit nun weg ist.
Aber ich habe angefangen, auf TikTok meine Vergangenheit zu erzählen. Ich möchte in meinem Leben nichts mit Mobbern zu tun haben, denn Mobbing ist kein Thema, über das man diskutieren muss und möchte einfach klarstellen, dass niemand wegen seines Anderssein ausgegrenzt werden darf.
Das Anderssein wird in verschiedenen Umgebungen anders aufgenommen. Manche würden meinen, es lebe sich wohl leichter in der Stadt als auf dem Dorf, da viel mehr Individuen aufeinandertreffen. Wie siehst Du das?
Ich wohne in einer Stadt und hier ist das mit dem Geschwätz und den Blicken ähnlich wie auf dem Dorf, es wird lautstark getuschelt und die Leute sind meiner Meinung nach handgreiflicher als auf dem Dorf. Es wurde noch niemand zusammengeschlagen, aber des Öfteren dumm angemacht. Als ich aber letztens mit meinem Verlobten Händchen haltend durch Köln gelaufen bin, gab es nur positive Kommentare. Die Menschen dort fanden es gut, dass wir es machten, ohne uns schämen zu müssen. Ich finde, Köln ist die toleranteste Stadt hier in Deutschland. Aber ich könnte nicht sagen, wo es jetzt insgesamt einfacher ist, anders zu sein – Stadt oder Dorf.
Du hast eben einen Verlobten erwähnt – wie sieht es denn bei Dir beziehungstechnisch aus?
Ich lernte letztes Jahr im November meinen Verlobten kennen, doch wir waren erst nur befreundet, weil ich mich in einer anderen Beziehung befand. Er kämpfte um mich und bezeichnete mich als Mann seiner Träume. Am 25. März kamen wir schließlich zusammen und ich bin so froh, dass er da ist und mich unterstützt. Ich freue mich schon sehr auf unsere Hochzeit. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich nach drei Monaten Beziehung schon verloben kann, aber wir sind auch schon nach zwei Monaten zusammengezogen. Es ist alles gut so, wie es ist.
Lieber Cedric, Du hast eine wahnsinns Geschichte. Es ist unglaublich schön zu hören, dass Du trotz allem, was Dir passiert ist, in der Lage bist, anderen Menschen zu helfen und wir freuen uns sehr, dass Dein Leben jetzt viel besser ist als damals. Vielen Dank für dieses Interview und Deine Offenheit uns gegenüber!