Arvid erzählt über sein Mobbing (Teil 2):

Wie schon im ersten Teil erwähnt, entdeckte ich das Theaterspielen. Meine Eltern hatten dafür kein Verständnis. Dennoch blieb ich standhaft und setzte mich für mich selbst ein. In andere Rollen zu schlüpfen, war für mich wie eine Flucht aus der Realität. Ich lernte schnell zum Teil sehr komplizierte lange Passagen auswendig und bekam dadurch die eine oder andere Hauptrolle. Ich schloss mich einem Theaterensemble an, welches für Menschen mit Behinderungen besondere Bedingungen schuf. In dem Kreis derer, die mitspielen, wurde mir dann auch klar, dass meine Mitspielerinnen und Mitspieler sehr oft ähnlichen Vorurteilen ausgesetzt waren wie ich, und zum Großteil auch Mobbing erlebt hatten. Das schweißt uns noch mehr zusammen. So gibt es bis heute Freundschaften, die ich nicht mehr missen möchte. meine Größten Highlights waren die vielen Kontakte dadurch zur Schauspielerei. Ich stellte YouTube Videos her, durfte in einem Tonstudio ein Lied aufnehmen und dann durfte ich im Filmpark Babelsberg bei den Berliner Horrornächten mitmachen. Ein Traum, der deshalb in Erfüllung ging, weil die damalige Leiterin einem Grundsatz folgte. Ihr war egal, woher ein Mensch kommt und welche Defizite ein Mensch haben mag, Hauptsache er ist mit Freude und Liebe bei dem, was er tut. Glaubt mir, ich bin mit Liebe und Freude dabei. Ich kämpfte dafür, dass ich auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Platz als Hauswirtschafter bekam. Mir war es wichtig, zu zeigen, dass ich als Hauswirtschafter nicht in einer sogenannten “Behindertenwerkstatt” arbeiten muss. Das soll sich jetzt bitte nicht negativ anhören, aber weshalb sollte ich nicht die gleiche Teilhabe am Leben genießen dürfen, wie nicht behinderte Menschen. Glaubt mir, auch wenn der Kampf einige Jahre gedauert hat, so bin ich dennoch froh, dass ich ihn durchgestanden habe. Ich habe eine kleine Wohnung, ein bis zweimal in der Woche kommt ein Sozialarbeiter, der mir bei folgenden Aufgaben hilft: Arztbesuche, Behördengänge, Finanzen und bei größeren Einkäufen. Ich habe einen großen Autismus-Kanal auf Telegram gegründet, der aber nun von meinem besten Freund Stephan geleitet wird. Ich besuche selbst Hilfegruppen zum Thema Autismus. 

Alles in allem würde ich sagen, dass ich heute ein wesentlich glücklicheres Leben führe als als Kind und Heranwachsender. Ich bin so selbstbestimmt, wie ich es sein möchte und bekomme da Hilfe, wo ich sie brauche. Etwas, das mir sehr wichtig ist und hochumstritten in der Autismus-Community, ist meine Plakette, die ich ganz offensichtlich trage. Auf ihr steht: “Ich bin Autist, bitte haben Sie Geduld mit mir.” Gerade aufgrund der Gewalterfahrungen möchte ich heute keine Gewalt mehr erleben. Durch meine Skoliose und meine Empfindlichkeit für Geräusche wirke ich nach außen für den einen oder die andere vielleicht sehr ignorant. Was heißt das? Durch die Skoliose humple ich und remple so manchmal Menschen an, was ich dann persönlich durch meine geräuschunterdrückenden Kopfhörer manchmal nicht mitbekomme. In Berlin kann es dann ziemlich ruppig zugehen, wenn man aus Versehen die falsche Person anrempelt. Weise ich auf meine Plakette hin, sind die Leute verzeihlicher und sehr viel netter und ich muss erst gar nicht versuchen, zu erklären, weshalb ich so bin, wie ich bin. Überhaupt wird mir freundlich begegnet beim Einkauf, in der Bank etc. Mir hilft dies dabei. Wenn ich einen Wunsch zum Schluss äußern dürfte, dann wäre dies, dass ich durch das Leben nicht mehr allein gehen möchte, sondern mich nach einem Menschen sehne, der mich auf meinem Lebensweg begleiten möchte. Ich möchte mich ganz herzlich beim Anders? = Anders!-Team bedanken, dass ich hier so frei erzählen durfte. Es ist ein weiterer Schritt in Richtung Heilung. 


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