
Das Bundesverfassungsbericht hat heute morgen eine Pressemitteilung zur Verfassungsbeschwerde von Renate Künast herausgegeben und diese dann auch „getwittert“

Den vollen Wortlaut der Pressemitteilung findet Ihr hier.
Und genauso, wie die ursprüngliche Klage und der Weg durch die Instanzen eine gewisse mediale Aufmerksamkeit erzeugt hat, gilt dies auch für dieses Urteil. Doch worum geht es hier genau und was bedeutet das für uns?
Ich möchte an dieser Stelle nicht den vollständigen Fall rezitieren. Das würde hier den Rahmen sprengen und stünde mir auch nicht zu, da ich dafür viel zu weit weg bin und kein unmittelbares Wissen habe. Ihr könnt aber eine Menge Details aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts herausziehen.
Hass im Netz
In diesem Klageverfahren geht es darum, dass sich die Grünen-Politikerin Renate Künast gegen beleidigende Äußerungen gegen sie im Netz wehren möchte. Dies tut sie auf dem zivilrechtlichen Wege und muss dafür als erstes das Wissen erlangen, wer denn nun die Beleidigungen verfasst hat.
In Deutschland ist es so geregelt, dass der Betreiber einer Sozialen Plattform verpflichtet ist, gegen gerichtliche Anordnung die Daten seiner Mitglieder zur Verfügung zu stellen. Und genau diese gerichtliche Anordnung hat Frau Künast versucht zu erwirken. Hier hat sie allerdings nicht in allen Fällen recht bekommen. Laut der Pressemitteilung hat das zuständige Kammergericht in 12 von 22 Fällen die Beauskunftung gestattet und in den übrigen 10 Fällen diese versagt.
Hier gegen ist nun Frau Künast weiter vorgegangen und hat sogar Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet und Recht bekommen.
Meinungsfreiheit und das Persönlichkeitsrecht
Die zentrale Frage, um die es in diesem Fall geht, ist die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht. Und damit um die Frage, ob eine Aussage – in diesem Fall wohl 10 – durch das hohe Gut der Meinungsfreiheit geschützt ist oder ob sie das Persönlichkeitsrecht einer Person derart verletzt, dass dieses geschützt werden muss.
Etwas einfacher gesagt: Es geht darum, was wir uns gefallen lassen müssen und was nicht.
So wie ich den Fall verstanden habe, hat das „Zuständige Fachgericht“ eine solche, explizite Abwägung nicht gemacht. Und das beanstandet nun das Bundesverfassungsgericht. Denn es sagt, dass auf eine solche Abwägung nur ausnahmsweise verzichtet werden kann:
Eine Abwägung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn die streitgegenständliche Äußerung sich als Schmähung oder Schmähkritik, als Formalbeleidigung oder als Angriff auf die Menschenwürde darstellt.
Pressemitteilung Nr. 8/2022 vom 2. Februar 2022
Ich bin kein Jurist, verstehe das aber so, dass wenn es eindeutig eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellt, dass dann nicht mehr der „Schutz durch die Meinungsfreiheit“ geprüft werden muss. Andersherum funktioniert das aber nicht:
Liegt keine dieser eng umgrenzten Ausnahmekonstellationen vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen bestimmte Personen in ihrer Ehre herabgesetzt werden, kein Indiz für einen Vorrang der Meinungsfreiheit.
Pressemitteilung Nr. 8/2022 vom 2. Februar 2022
Wie gesagt, ich stecke nicht tief in dem Fall drin, aber es scheint so zu sein, dass die ausführliche Abwägung unterlassen wurde mit Blick darauf, dass Frau Künast Politikerin ist und somit auch was „aushalten“ müsse.
Die vom Fachgericht zum Teil begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung nicht.
Pressemitteilung Nr. 8/2022 vom 2. Februar 2022
Und hier zieht das Bundesverfassungsgericht ganz klar die Trennline und sagt, dass nicht auch bei Politikern und Politikerinnen eine solche Abwägung zu machen ist, sondern gerade bei diesen.
Dabei liegt insbesondere unter den Bedingungen der Verbreitung von Informationen durch „soziale Netzwerke“ im Internet ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgerinnen und Amtsträgern sowie Politikerinnen und Politikern über die Bedeutung für die jeweils Betroffenen hinaus im öffentlichen Interesse, was das Gewicht dieser Rechte in der Abwägung verstärken kann.
Pressemitteilung Nr. 8/2022 vom 2. Februar 2022
Kurzum: Das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass man Beleidigungen und Hasskommentare auch als Politikerin oder Politiker nicht einfach so hinnehmen muss.
Verfahrenstechnisch geht die Entscheidung, ob die o.g. 10 Äußerungen anders als bisher zu bewerten sind, wieder an das Fachgericht zurück. Dieses muss nun die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht sauber darstellen und dann kommt vielleicht eine neue Bewertung heraus oder auch nicht – wir werden sehen…
Was uns gegen den Hass hilft
Ich bin kein Politiker – was habe ich also von diesem Urteil?
Zum einem hilft uns jedes Urteil im diesem Bereich, damit klar wird, was eben okay ist und was nicht. Denn nur durch solche Urteile kann eine gewisse Rechtssicherheit erlangt werden und Klarheit darüber entstehen, wie das geltende Recht in Bezug auf die neuen Medien angewendet wird.
Zum Anderen hat Frau Künast einen echten Sieg für viele Menschen errungen, die sich sozial engagieren. Denn eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird immer aus grundsätzlichen Überlegungen heraus gefällt und diese wurde hier schön zusammengefasst:
Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.
Pressemitteilung Nr. 8/2022 vom 2. Februar 2022
Der Unfug von „Wenn Du Dich in der Öffentlichkeit zeigst, musst Du auch aushalten, dass Dich jemand beleidigt“ ist damit ganz klar zurückgewiesen. Wir erleben den Hass, der uns entgegenschlägt, in Deutschland ist es unser Recht, dagegen vorzugehen.
Klarer, lässt sich das nicht formulieren und ich danke Ihnen Frau Künast, dass Sie dieses Ergebnis erzielt haben. Und Deswegen kommt es hier nochmal in Fettdruck:
Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.
Das Beitragsbild ist ein Foto von Sora Shimazaki von Pexels.
Das Bild von Frau Künast ist Wikipedia entnommen: Von Olaf Kosinsky – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=62640921