Danke Felix, dass Du Dir Zeit für das Interview nimmst.
Ich schlage vor, dass wir direkt mit den Fragen anfangen.
Joah- tun wir doch so, als ob wir uns nicht kennen würden: Ha Ha (Felix grinst über beide Wangen…)
Also Felix, wann hast Du das erste Mal gemerkt, dass Du anders bist?
Tatsächlich war ich schon immer anders! So habe ich mich schon nach meiner Entstehung so gut im Mutterleib versteckt, dass meine Ma nicht merkte, dass sie überhaupt schwanger ist. Erst nach vier Monaten gab ich mich zu erkennen. Nun weißt Du schon mal, weshalb ich Felix heiße. Denn: Tada, meine Ma ist diagnostiziert unfruchtbar.
Der Trubel war also schon sehr groß, bevor ich überhaupt zur Welt kam… ihre Freude so übermächtig, dass sie ziemlich jeden Jungennamen gefühlt auf mich packte. Felix, Maximilian, Eric und Victor!
Im Kindergarten war ich das, was man wohl so nennt: „voll der Checker“. Ich wollte sowohl alle Mädchen aus meiner Gruppe als auch meinen besten Freund heiraten. Es war eine so schöne Zeit, dass ich selbst mit 19 noch wehmütig werde, wenn ich daran denke.
Klingt ja wirklich toll, aber war das schon der Moment, wo Du Dich anders fühltest?
Nein, gar nicht. Da ich eine sehr mich unterstützende Familie habe, ist mir lang nicht klar gewesen, dass ich überhaupt anders war. Ich fing an, das ganze Drumherum ums Anderssein erst zu bemerken, als ich in die fünfte Klasse kam. Irgendwie hatte ich zum ersten Mal einige Probleme, Freunde zu finden. Ich ging auf ein sehr elitäres Gymnasium, weil ich leider zu schlau für diese Welt war. Und da liegt die Betonung ganz klar auf war. Mit 5 Jahren wurde ich von meinem Kinderarzt zu einem Psychologen überwiesen, da ich in einem Entwicklungstest
(in Berlin wurde man mit 5 eingeschult und ich war der erste Jahrgang, dem dies widerfuhr…) überdurchschnittliche Antworten gegeben hatte. Der bescheinigte mir dann einen IQ von 139 neben einem ADHS – YEAH… ne, ganz ehrlich. Ich mache mich zwar darüber lustig, aber für meine Eltern war das ganz schön Scheiße- excuse my french. Weder wollten sie, dass ich Ritalin nehme, noch dass ich mir ein Ei auf meine Intelligenz pelle. Also erzählten sie mir weder von dem einen noch von dem anderen.
Aber zurück zu meiner nicht so schönen Zeit. 5. Klasse; ich ein Träumerle, unbeschwert, komme mit 9 Jahren auf ein Gymnasium mit sehr versnobten Kindern.
Versnobt?
Ich gebe Dir mal ein Beispiel- Erster Elternabend 2011 auf dem Gymnasium. Eine Mutter sprengt mit ihrem Anliegen sofort die Tagesordnung, weil sie eine Überwachung des Klassenzimmers fordert.
Hä?
Jepp, sie wollte ein vollständiges Kamerasystem, was sie bereit war zu spenden, im Klassenraum installieren, weil ihrem Sohn sein neues I-Phone (natürlich die neueste Generation von Apple!) geklaut worden war. Und da ja alle Kinder (ich nicht!) ein I-Phone mit 9 Jahren besaßen, müsste man doch schließlich für die Sicherheit sorgen.
Reicht das als Beispiel oder soll ich Dir erzählen, was die Kinder sonst noch so am Leib trugen?
Das kann ich mir jetzt lebhaft vorstellen. Aber weshalb haben Deine Eltern denn so ein Gymnasium ausgewählt?
Mein allerbester Freund wechselte hierher. Und dann kam ich noch nicht einmal in seine Klasse, da die Katholiken (er war einer) eine eigene Klasse bekamen wegen der Feiertage…
Aber vielleicht erzähle ich jetzt mal „weida“, Okay?
Ja klar, nur zu, ich finde es nur sehr spannend, was Du da erzählst.
Sollten andere das auch spannend finden, können sie mich ja gern anschreiben. Ich erzähle dann persönlich weiter.
Auch mir? (der Interviewer lacht)
Du merktest also, dass Du anders warst? Wie bist Du damit umgegangen?
Ich habe mich auf die Menschen konzentriert, die wie ich anders waren. So habe ich auch später eine Clique gefunden. Die „Ach so Beliebten“ zum Beispiel hatten nur „Fakefriends“. Alle haben hinter ihrem Rücken über sie gelästert und ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, richtige Freunde zu haben und auch wenn es nur wenige sind. Allgemein bin ich aus der Phase stärker herausgekommen.
Seit wann lebst Du Dein Anderssein?
Im Grunde genommen seit dem Umzug, weil ich gemerkt habe, dass es keinen Sinn hat, sich zu verstellen. Ich war 14 oder 15 Jahre alt und hab angefangen, darüber glücklich zu sein, dass ich anders bin.
Gab es Situationen, die unangenehm waren, also Sprüche oder Gewalt Dir gegenüber?
Ich wurde häufig als Schwuchtel bezeichnet oder als fett, aber diese Aussagen haben mich eher gestärkt, als dass sie mich verletzt haben. Ich sehe es so, dass es Tatsachen sind, dass ich fett bin und auf Jungs stehe, also kann ich nur antworten, wenn mich jemand „beleidigen“ sollte: „Ja, da haste Recht!“ Mich hat die verbale Gewalt, die mir widerfahren ist, stärker gemacht.
Hast Du Dir mal gewünscht, nicht anders zu sein?
Einmal am Anfang habe ich es mir gewünscht, aber danach nicht mehr, weil ich finde, dass die Normalen meistens eher langweilig sind und gerade, wenn sie beliebt sind, ihr einziger Charakterzug ist, wie ach so beliebt sie sind, das wollte ich auf keinen Fall. Natürlich ändert sich die Grundlage für Beliebtheit und gerade in der Oberstufe lösen sich diese recht kindlichen Strukturen und dieses Cliquendenken. Es sorgt auch dafür, dass es gar keine Beliebte mehr gibt und sich Gleichdenkende zu Gleichdenkenden gesellen. So hatte ich dann irgendwann auch viele Freunde, die ich alle sehr liebgewonnen hatte.
Hattest Du während dieser ganzen Zeit Unterstützung und wenn ja, von wem?
Ich wurde von meinen Eltern unterstützt, weil das Thema Bisexualität nie verwerflich war, da meine Mutter selbst bisexuell ist. Von fast allen Freunden wurde ich auch unterstützt, nur ein Freund hat mich als „halbnormal“ bezeichnet, doch er hat nun auch seine Einstellung dazu geändert. Ansonsten war ich gerade mit meinen Freunden befreundet, weil ich anders war und weil sie auch anders waren, denn wir hatten zum Beispiel gemeinsam, dass wir nerdig waren; ich habe mir sie gesucht, weil sie mich unterstützt haben.
Wie und wann hast Du Dich eigentlich geoutet?
Bei meinen Eltern habe ich mich deutlich früher geoutet. Ich wusste es ziemlich lang und mir war es mit 13/14 letztlich klar. Ich habe es meiner Clique persönlich erzählt und sie haben alle gut reagiert. Eine Person schien es erst später gestört zu haben. Danach war es mir egal, ob es jemand weiß und ich habe es auch Niemandem auf die Nase gebunden, aber bin offen damit umgegangen, also ich habe es den Personen erzählt, die mich danach gefragt haben. Der Freund, der meinte, ich sei nur „halbnormal“, war trotzdem noch mein Freund, weil, wenn wir beispielsweise zocken, die Sexualität keine Rolle spielt. Denn auch er hat Gott sei dank irgendwann seine Einstellung geändert.
Wie ging es Dir mit dem Umzug nach Wacken? Gab es Schwierigkeiten mit der neuen Schule?
Zuerst bevor die negativen Dinge erwähnt werden, möchte ich einmal sagen, dass ich sehr gut an der neuen Schule aufgenommen wurde, Shoutout an Sarah. Ich fand schnell Freunde und das sogar in anderen Klassen. Wenn ich drüber nachdenke, sind gerade einmal zwei Situationen aufgetreten, bei denen ich Probleme mit meinem Anderssein hatte. So wurde ich einmal als Schwuchtel bezeichnet und aus dem Weg geschubst von jemandem aus dem Sportprofil, der auch Autisten geärgert hat, anscheinend brauchte er das. Ein Freund, den ich hier oben kennengelernt habe, hat sehr häufig homophobe Witze gemacht und als ich ihm sagte, er möge das bitte nicht in meiner Anwesenheit tun, machte er trotzdem weiter. Er meinte, ich sei zu empfindlich. Letztendlich ist die Freundschaft mit ihm zerbrochen.
Wie ist es, anders auf dem Dorf zu sein? Beeinflussen Dich zum Beispiel das Dorfgeschwätz oder die Blicke?
Es ist hier für mich deutlich schwieriger gewesen, Leute zu finden, die ähnlich denken, wie man selbst. In der Stadt waren viele Leute und man hatte eine größere Wahrscheinlichkeit, gleichartige Menschen zu finden. Auf dem Dorf hatte ich richtig Glück, denn es gibt nicht viele hier. Doch auch so typische Dorfdinge wie die Freiwillige Feuerwehr haben mir geholfen, Fuß zu fassen, denn dort zählt Kameradschaft. Egal, was man politisch denkt oder inwiefern man anders ist, in der Feuerwehr hilft man sich gegenseitig und das ist eine wunderschöne Sache. Die Blicke und das Dorfgeschwätz interessieren mich nicht, denn was Andere, die ich nicht kenne, über mich denken oder lästern, ist mir egal. Ich glaube aber, dass mir an dieser Stelle ein dickeres Fell gewachsen ist als manch Anderen. Und an alle, die Probleme mit dem Dorfgeschwätz haben, kann ich sagen: Schreibt mir auf Instagram und hört einfach den Ärzte Song „Lasse Reden“
Danke, Felix, für das Interview!
Ich finde Dich großartig, Felix! In Deinem Alter hätte ich die Reife nicht besessen. Ich bin 63 Jahre alt und habe viel für Eure Rechte, die Ihr genießen könnt, gekämpft. Bewahrt das, wofür Generationen vor Euch auf die Straße gegangen sind! Grüße Peter