Hallo Heiko, willkommen zum heutigen Interview, schön, dass Du dabei bist! Wie hat das Anderssein denn bei Dir angefangen?
Ach ja, ich erinnere mich noch an Biologie 8. Klasse – Sexualkunde gab es ja damals in der DDR noch nicht. Ich saß also neben einem echt süßen und ein Jahr älteren Jungen und interessierte mich mehr für ihn als für den Rest der Klasse bzw. den Unterricht. Das war das erste Mal, dass ich merkte: „Was ist los mit mir?“.
Das fragen sich wohl viele queere Jugendliche, da ihnen immer vorgelebt wird, dass es eigentlich nur hetero gäbe! Wie war denn Dein Umfeld?
Ich komme aus einem wohlbehüteten Haushalt und war als Einzelkind so ein richtiges Muttisöhnchen. Nun waren meine Eltern deutlich älter, meine Mutter war 37 bei meiner Geburt, und bei uns auf dem Land gab es einfach keine Homosexualität (hieß es offiziell). Auch waren immer wieder dezent homophobe Äußerungen zu Sängern oder Schauspielern zu hören. Und ich kannte im näheren Umfeld niemanden, den ich hätte fragen können; ich habe es mich auch nicht getraut.
Somit war mein Leben “konservativ” vorgeschrieben und ich traf 1991 eine junge Frau, welche ich 1995 vor der Geburt unserer Tochter heiratete. Nach 14 Monaten trennten wir uns dann schon, blieben aber trotz Schwierigkeiten in Kontakt. Immerhin haben wir ja zusammen mein Lieblingskind.
Schon während dieser ganzen Zeit schielte ich immer noch nach Jungs und hatte wilde Fantasien. Nur traute ich mich dies als Papa und kleinbürgerlicher junger Mann nie auch nur ansatzweise auszuleben.
Die nächsten Jahre vergingen scheinheilig und immer mit dem Gewissen, hin und her gerissen zu sein. Auch war ich mit meiner damaligen Freundin (unter anderem 10 Jahre in Baden-Württemberg) mehr wie Bruder und Schwester als wie ein Liebespaar. Sexualität hatte ich nur noch mit mir allein und dem immer größer werdenden Internet. Ich konnte meinen Eltern nicht ehrlich unter die Augen treten, hatte Angst vor den Konsequenzen.
Das ist bedrückend! Hast Du Dich irgendwann getraut, Dein Anderssein selbst zu akzeptieren und frei auszuleben?
Im Herbst 2012, ich war gerade 1 1/2 Jahre in Berlin angekommen, nahm ich allen Mut zusammen und trennte mich kurzerhand und Hals über Kopf, ohne zu wissen wohin und was nun. Ich wollte endlich leben! Meine Tochter war 17 als ich mich ihr gegenüber, nach einiger Zeit, als allererstes outete. Ihre Reaktion: Na das hätte ich dir aber schon lange sagen können, Papa! – Ich liebe dich. 😍
Yeah! Der 1. Schritt war getan und nicht der Letzte. Kollegen, Nachbarn, vielen sagte ich es, nur meinen Eltern immer noch nicht! Ich hatte dann schon über Annoncen einen Mann kennengelernt und fühlte mich erstmals seit langem wieder rundum glücklich und als ICH.
Dieses Gefühl ist wohl das Schönste, was man verspüren kann! Das ist ja dann eine wirklich positive Wendung!
Wie gesagt, mit 40 Jahren fing mein neues schwules und mega schönes Leben in Berlin erst richtig an. Mein damaliger Freund ermutigte mich, zu meinen Eltern ehrlich zu sein. Mein Herz schlug und ich stand in der geöffneten Küchentür, um den Rücken frei zu haben.
”Ich habe mich wieder verliebt, aber in einen Mann!” -wusch-
Meine Mutter (katholisch): „Oh wie schön, Hauptsache ihr seid glücklich!“ -häh-
Ich wiederholte mich: “Aber in einen Mann!”
„Naja, ist doch egal.“ meinte mein Vater. „Was ist er, was hat er, welches Auto fährt er???“ -aha-
„Das war es?!“ dachte ich. Ja, das war alles, wir sprachen ausführlich darüber und ich sollte noch versprechen, nicht wild knutschend durchs Dorf zu laufen. Haha, als ob ich mich darum kümmern würde, jetzt ganz bestimmt nicht mehr!
So einfach. Ich weiß, es ist nicht überall so, aber bei mir war es so einfach und ich habe mich 25 Jahre lang nicht getraut.
Was für ein Wahnsinn! Mittlerweile bin ich das 2. Mal Opa und seit fast 4 Jahren mit @reallife70 ein Dreamteam. Wie jedes Jahr werden wir wieder am 30.7. in Potsdam den Jahrestag in unserem Café feiern.
Herzlichen Glückwunsch! Da bist Du tatsächlich auch Opa, wie cool! Möchtest Du den Leserinnen und Lesern noch etwas mit auf den Weg geben?
Genau aus diesem Grunde, dass ich mich so lange so schwer damit getan habe und allen Normen gerecht sein wollte, ermuntere ich alle jungen Menschen: Steht zu dem, was Ihr seid, versteckt Euch nicht, Ihr lebt nur einmal und zwar JETZT!!!
Schöner kann man es nicht sagen! Vielen Dank für Deine Offenheit, Heiko!

Wir lieben Dich!❤️
Oskar, Benjamin & dein Lieblingskind Laura 😍😘
Ach mein Laurinchen 🥰, du bist so lieb.