Hi, ich bin Miri, 33 Jahre und aus der Nähe von Karlsruhe. Ich bin lesbisch – zu %.

Den Mut, das so zu sagen und der Weg bis dahin war nicht immer so kraftvoll und überzeugend, wie er heute ist. Deshalb will ich Euch mit auf meine Reise in die Vergangenheit nehmen.
Heute darf ich mich vorstellen und will Euch an meinem Coming Out teilhaben lassen!
Das ganze Jahr über freu’ ich mich auf den Pride Month!Ich feier’ die Atmosphäre auf den CSDs -die Verbundenheit, die Harmonie, den Optimismus, die Lebenslust, die Unverblümtheit, die Offenherzigkeit!Und ich liebe es, unter Gleichgesinnten zu sein. Unter Menschen, die wissen, was (auch immer) sie wollen und mit Überzeugung für sich (und ihre Sexualität) einstehen!
Ich bin in einem Dorf mit (damals) ca. 1500 Einwohnern aufgewachsen.
Ich liebe schon immer das Landleben -die Luft
–
die Stille, die innere Gelassenheit – das langsamere Ticken der Uhr, die Natur, den menschenleeren Wald, die Plätze, die niemand kennt, die Hilfsbereitschaft/das gegenseitige aufeinander Achten, direkt vom Feld so viele Erdbeeren zu futtern, bis mir schlecht ist.
Pferdeschritte statt Autolärm auf der Straße. Nie zu wenig Geld in der Tasche zu haben – reicht’s nicht ganz, bring’ ich’s einfach morgen. Löcher in die Wand zu bohren – wann immer ich will – es hört/stört ja niemanden!
Nackt durch die Wohnung zu latschen (gibt nix zu sehen, was nicht eh schon jeder kennt
).Nie zu kurz feiern zu müssen. Die Nachbarn wurden ja vorher informiert oder sie schließen sich einfach an.
Schon als Kind half ich selbstverständlich in der Landwirtschaft mit. Auf dem eigenen Spargelfeld anbauen, stechen, putzen, schälen, verkaufen. Auch in der Schnapsbrennerei war ich früh zu Gange und, wie viele in meinem Alter, weiß ich heute noch, was bei welchem Schnaps benötigt wird, was das Prinzip der Destillation überhaupt ist und was die beinhaltet?! Ich hab mit den Tieren geholfen – vor allem bei den Pferden und Hühnern. Füttern, Stall und Weiden ausmisten, Heutransport, Stroh vorbereiten, sowie beim täglich nötigen Pflege- und Hygienebedarf. Zur Belohnung gab es immer frische Eier (natürlich nur von den Hühnern
). Insgesamt war alles gut so, wie es war. Es war leicht und gleichzeitig anstrengend. Ausgeglichen und im vollen Maß befriedigend.
Dennoch… Wie so vieles hatte auch das Dorfleben seine Schattenseiten!
Wer aus der Reihe tanzte/anders war (egal, ob Religion, Figur, Hautfarbe, Region, Familienstand oder eben auch die sexuelle Orientierung betreffend), wurde ausgeschlossen/anders behandelt. Und wer etwas verbergen/anonymisieren will, ist auf dem Dorf am falschen Ort!
Meine Mama war eine der wenigen Erzieherinnen dort und sie kannte deshalb sowieso das ganze Dorf. Ihr war der Ruf von ihr und uns Kindern wichtig. Sie wollte nicht zum „Geschwätz“ werden. Ich konnte es verstehen, zumal es hier um ihren Beruf ging.Es war schwierig, denn ich wusste schon sehr früh, dass ich keinen Bauer suche, sondern eine Bäuerin.
Ich lebte in ständiger Zerrissenheit und in einem Hin- und Hergerissen sein zwischen Herz und Verstand. Ich liebte das Dorfleben und ich liebte meine Mama, dennoch hatte ich Angst, anders behandelt oder ausgeschlossen zu werden.
(Obwohl ich das nie mehr aktiv danach so erlebt habe, sitzen die Befürchtungen immer noch tief und egal in welche neuen Gruppen/Konstellationen ich komme, passiert es jedes Mal, dass ich meine sexuelle Identität/die Liebe zum weiblichen Geschlecht zunächst verberge – zumindest solange ich mir unsicher bin, welche kulturellen Einstellungen die jeweiligen Personen mitbringen).
Ich versuchte es auch immer mal wieder mit Jungs. Hauptsächlich, um nicht aufzufallen. Aber auch ein Stück weit aus der Hoffnung heraus, mich doch zu täuschen. Ich merkte aber nach jedem kläglichen Versuch, dass es gar nicht geht – zumindest sexuell. Nach dem letzten Mal (während meiner Ausbildung) ließ ich es dann. Die Geschichte dazu behalt ich für mich – nur so viel: Ich war mir absolut sicher, dass dies nun der letzte Test diesbezüglich gewesen sein sollte.
Das geliebte Dorf zu verlassen, brach mir das Herz. Dennoch sah ich zur damaligen Zeit keine andere Möglichkeit – ich würde zerbrechen unter der Last. Nach der Ausbildung zog ich in eine Vorstadt. Ich kam aber (was das (Vor-)Stadtleben anging) nie dort an. Lärm, Dreck, Menschen überall.
Statt grün überall nur grau.
Ich dachte, dass es dort leichter sein würde, meine Liebe auszuleben. Primär war es das auch. Aber ich bin weg gelaufen vor meiner anderen, großen Liebe (der Dorfliebe).
Von vielen Ängsten getrieben…
Meine Zerrissenheit – ich hatte sie nur verlagert.
Dort ging ich die erste wirkliche Beziehung mit einer Frau ein (die ich einige Jahre später heiratete). Wir wohnten ca. ein Jahr in der viel zu kleinen 43 qm Wohnung (mit Dachschräge und Hund), bis wir beschlossen, dass was Größeres her muss. Immer wieder zog es mich in die Richtung meines alten Heimatdorfes. Zum Spazieren, Radfahren, Baden.
Und es steckte an – auch Stadtkinder können die Vorteile des Landlebens mit etwas Geduld und Zeit sehen!
Ich denke, dass anhand vieler Vorurteile der Eindruck entsteht, dass wir Dorfkinder alle doof sind. Das ist aber nicht so. Die Werte und Prioritäten liegen halt anders.
Aber einfach ist manchmal mehr.
Ich wollte zurück. Koste es, was es wolle! Um den kompletten, puren Seelenfrieden zu erlangen, benötigte es das Zugestehen und Aufkommen für beide meiner geliebten Schätze. Jeder Teil, den ich versuchte zu unterdrücken: Er fehlte schlussendlich auf dem langen Weg zur Ganzheitlichkeit! Ich war gewachsen und stärker als vorher und ich war nicht (mehr) alleine. Meine Mama und die engsten Familienmitglieder hatte ich mittlerweile „eingeweiht“ (obwohl ich denke, dass es ein offenes Geheimnis war). Sie akzeptierten es und waren froh, dass ich einen Menschen gefunden hatte, mit dem ich glücklich schien. Der mir gut zu tun schien.
Dennoch… Offen damit umgehen, konnten wir alle noch immer nicht. Es war endlich ausgesprochen und es wurde angenommen.
Es blieb weiter der Fakt: Dorf(-geschwätz)! Was genau passierte, als ich zu einem größeren Familienfrühstück einlud, dabei zitternd und leise heraus brachte, dass wir heiraten werden, weiß ich nicht. Aber ich war froh, als mein Neffe die Situation rettete und den Knoten löste, als er auf die Frage, wer denn das Kleid anzieht und ich “Keiner“! antwortete, sagte: „Dann zieh ich das Kleid an!“
Meine Mama begann endlich selbst mit dem Dorfgeschwätz! Sie erzählte allen, dass ich heiraten werde, und zwar ne Frau! Mama, ich bin so stolz auf dich
Und keiner wurde anders behandelt oder ausgeschlossen. Im Gegenteil: Es war ein großes Fest. Und selbst der älteste, eingefahrenste meiner Familienmitglieder kam und freute sich mit mir, dass ich jemanden an meiner Seite hatte. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Glückwunschkarten aus dem Dorf!
Ich hatte es geschafft, wir alle hatten es geschafft, das Schweigen zu brechen. Den Mund aufzumachen. Ehrlich und offen zu sein. Gerade zu stehen – Gegen alle Ängste, gegen das eingefahrene Denken in den Köpfen eines eingespielten, engstirnigen, einheitlichen, vorurteilsschweren, wunderschönen Dorfes!
Für die Liebe – ganz egal unter welcher Konstellation der Geschlechter!
Love always wins!
Und das ist es, warum ich den CSD heute so feiere. Vor allem Liebe, Respekt, Verständnis und Gleichberechtigung. Freiheit! Kiss whoever the fuck you want!
Natürlich vergesse ich bei dem ganzen auch nicht meine Liebe zum Dorf, ohne die mein Herz unvollkommen wäre!!!
Das Shooting auf dem Grundstück meiner Großeltern war mir eine große Ehre und ich hätte mir keinen passenderen Platz vorstellen können!
Ich denke, es ist egal, in welcher Lebenswelt man aufwächst oder erzogen wird. Liebe lässt sich nicht verbiegen und sie ist was Wunderschönes!
Ich wünsche mir nichts mehr, als dass das in den Köpfen von uns allen ankommt. Und, dass keine Unterschiede gemacht werden. Dass alle dieselben Rechte bekommen und keiner schlecht behandelt, benachteiligt oder verleumdet wird!








Liebe Miri!
Danke für deine wundervolle Geschichte über dich und dein Coming Out 🥰
Du bist eine wunderbare starke junge Frau und gehst deinen Weg.
Liebe Grüße aus Berlin von Petra